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Nachruf

Birgit Blesse als Leiterin des Patmos-Chors

Birgit Blesse ist von uns gegangen. Sie war die Gründerin und über mehr als 20 Jahre Leiterin, Zentrum und gute Seele des Patmos-Chors. Wenn ich an sie zurückdenke, dann sehe ich ihr stets freundlich animierendes Gesicht, höre ihre weiche, klare Stimme, sehe sie im wiederholten Ringen, den schwerfälligen Stimmgruppen die richtigen Töne, den passenden Rhythmus und den feinen Klang beizubringen. Sie hatte es nicht immer leicht mit uns.

Und dann natürlich auch ihre wunderschöne Sopranstimme und ihr betörendes Klavierspiel. Manchmal, wenn man früh zur Probe erschien, konnte man sie versonnen am Flügel spielen hören. Mozart oder Bach.

Ja, Birgit war auch eine Zauberin. Nicht zuletzt darin, wie sie es schaffte, erst 15, dann 30, später 40 und mehr höchst eigenwillige Charaktere zu einer Chorgemeinschaft zusammenzuschweißen. Immer wieder hörte ich von Neuzugängen, dass sie sich von der offenen Atmosphäre und dem freundlichen Miteinander in unserem Chor angezogen fühlten und dass sie in anderen Chören ganz anderes, Gruppenbildung, Intrigen und Eifersucht erlebt hatten. Nicht, dass es so was bei uns nicht gegeben hätte. Aber über uns schwebte, herrschte ein guter Geist, der uns immer wieder half, aufkommende Disharmonien aufzufangen, zu schlichten und zu integrieren. Und dieser gute Geist ging, so war jedenfalls mein Gefühl, zu allererst von unserem „Leittier“, wie unser lieber Chorheiliger Dieter sie gerne genannt hat, von Birgit aus.

Sicher zog Birgits Geist einen bestimmten Menschenschlag an. Wie ich aus Erzählungen von Ur-Patmosen (auch so eine unvergessliche Wortschöpfung von Dieter Häuber) erfuhr, hatte Birgit kurz nach ihrem Amtsantritt in der Patmos-Gemeinde den damals bestehenden Restchor aufgelöst und einen neuen Gemeindechor gegründet. Über die Jahre wuchs dieser zu einer Gemeinschaft, die mehr als „nur“ ein Chor war und für viele zu einem Kreis von Freunden wuchs, mit denen man neben dem Singen auch anderes teilte. Viele blieben dem Patmos-Chor genau aus diesem Grund treu, obwohl es sie immer mal wieder aus diesem oder jenem Grund zu anderen Ufern zog.

Ausdruck dieser sozialen Gemeinschaft waren unsere Chorfeste und, mehr noch, unsere jährlichen Chorfahrten aufs Brandenburger Land. Dort lief Birgit regelmäßig zu wahrer Hochform auf. Unglaublich, zu welchen musikalischen Höhen sie unsere manchmal schwer zu bändigende Truppe an diesen Wochenenden trieb. Als Ausgleich gab es dazu am Abend und oft bis tief in die Nacht hinein legendäre Feste mit Wein, Gesang und Tanz, ausgelassenen Darbietungen und angeregten Gesprächen. Birgit war meist eine der Letzten, die in die Kojen fielen. Überhaupt wurde bei uns in den Proben viel gelacht, die andere Seite der gelegentlich mangelnden Disziplin in den Chorreihen, welche wir und auch Birgit letztlich als Ausdruck der Lebensfreude gerne in Kauf nahmen.

Über die Jahre wurden die Feste etwas weniger lang. Wir wurden älter und Birgit auch. Gleichzeitig wurde unser Chor besser und wagte sich an größere Werke. Dabei sangen wir nicht nur das gängige Kirchenrepertoire. Wieder und wieder förderte Birgit mit nie erlahmender Neugier unbekannte Perlen aus den Jahrhunderten Kirchenmusik, aber auch weltliche Madrigale sowie Lieder aus nah und fern zu Tage. Nie hörte sie auf, an unserem Klang und den musikalischen Grundlagen der Sängerinnen und Sänger zu feilen, immer offen für neue Übungen und Methoden, die sie in ihren zahlreichen Fortbildungen kennengelernt hatte.

Birgit war auch eine Ermutigerin. Als sie mich – für mich damals wie aus heiterem Himmel kommend – fragte, ob ich nicht in einem Chor singen möchte, und ich ihr verdattert entgegnete, dass ich doch nicht nach Noten singen könne, sagte sie: Macht nichts. Komm einfach und fühl mal rein. Und auch meinen anfänglichen Zweifeln, „ob ich das je lernen könnte“, setzte sie ihre ebenso beharrliche wie freundlich leitende Zuversicht entgegen.

Birgit war eine eminent musikalische Musikerin. In den Proben nahm sie es oft sehr genau und arbeitete so lange am Detail, bis es wirklich saß. Das war auch mal anstrengend. Und doch gelang es ihr, dass der Spaß und die Freude am Singen stets im Vordergrund blieben. Man ging beglückt und gestärkt nach Hause – oder noch in die nahe Kneipe, wie es einmal im Monat zum Usus wurde. Bei den Aufführungen, nach all den monatelangen Vorbereitungen, gab es dann immer wieder Momente, wo etwas gelang, das über die Probenarbeit hinausging, in denen wir frei wurden zum wahrhaft erfüllten Musizieren.

Konflikte waren nicht so ihr Ding, wie sie gelegentlich freimütig zugab. Sie liebte die Harmonie (sicher etwas, was sie auch und gerade in der Musik fand). Aber wenn es ihr mal reichte, konnte Birgit auch heftig aus der Haut fahren, was dann die eine oder andere Stimmgruppe abbekam, woran zarte Gemüter zu kauen hatten. Nie jedoch hat sie einzelne Sänger bloßgestellt. Sie hatte, im Guten wie im weniger Guten, immer die Chorgemeinschaft als ganze im Auge.

Die begleitete sie auch durch ihr privates Leben: Heirat, die Geburt ihrer Kinder, Trennung und wieder Heirat. Das Fest zur Hochzeit von Birgit und Klaus wird mir als eins der schönsten und ausgelassensten meines Lebens in Erinnerung bleiben. Und auch während ihrer Krankheit blieben wir uns nah. Immer wieder kam Birgit zurück und machte weiter. Wie viel sie auch jenseits von Proben und Konzerten für uns, ihren Chor, getan hat, wurde uns erst klar, nachdem sie sich 2014 von ihrer Arbeit verabschieden musste. Was Birgit in den Jahren ihrer Leitung quasi geräuschlos im Hintergrund geregelt hatte, mussten wir nun in die eigenen Hände nehmen, was oft mehr schlecht als recht gelang. 

Nun ist sie von uns gegangen. Und ist doch vielen von uns noch überaus präsent. Birgit hat Freundschaft gestiftet und musikalisches Glück verbreitet, das über ihren Tod hinaus wirkt. Sie hat unser Leben reicher gemacht. Mag sie körperlich entschwunden sein, ihr Geist lebt weiter, auch im weiteren musikalischen und sängerischen Wirken der vielen Patmosen, die das Glück hatten, unter ihr zu singen.

Danke, Birgit.

 

Text von Volkhard Röseler, dem Kommunikator des alten Patmos-Chores.