Front des Gemeindehauses in der Albrechtstraße 81 Steglitz. Bild jh

Das Gemeindehaus der Markus-Kirchengemeinde ist seit dem 12. März 2022 eine erste Unterkunft mit Verpflegung und Betreuung für 80 Menschen, die mit einen besonderem Betreuungsbedarf untergebracht werden. Die Gemeinde arbeitet hierfür mit der Berliner Stadtmission zusammen. Die Einrichtung und der Betrieb der Notunterkunft ist nur möglich dank der großen Unterstützung vieler Menschen, die ihre Zeit, Sachmittel oder Geld spenden.

Achten Sie auf aktuelle Informationen auf der Startseite der Markus-Gemeinde. Dort können auch Bilder geschaut werden, die die überwältigende Spendenbereitschaft zeigt. Weitere Informationen und Bilder sind auch auf der Facebookseite von Carolin Göpfert zu finden oder in der Markus Zeitung Ausgabe 2 April & Mai 2022. Download hier oder auf der Markus-Gemeinde-Seite.

Gesammelte Informationen

Wichtiger Hinweis! Verleumderische E-Mails im Umlauf

Die Ev. Markus-Kirchengemeinde betreibt seit März 2022 eine Notunterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine. Derzeit sind E-Mails im Umlauf (u.a. von russischen Absendern), die mit verschiedenen Vorwürfen die Arbeit der Gemeinde für Geflüchtete in Verruf bringen. +++ Wir gehen davon aus, dass diese Nachrichten darauf abzielen, unsere Arbeit zu diskreditieren und unsere Mitarbeitenden einzuschüchtern. Die Ermittlungsbehörden sind eingeschaltet.

Falls Sie eine Nachricht erhalten, informieren Sie bitte unsere Landeskirche:
info(at)ekbo.de.

Mit einer Weiterleitung helfen Sie uns, den Verlauf zu dokumentieren. Bitte gehen Sie selbst sonst nicht weiter darauf ein.

Vielen Dank!
8. Februar 2023

 

Termin zur Stellungnahme und Einordnung

Am Freitag, dem 24. März 2023 hat die Markus-Gemeinde in das Erdgeschoss des Gemeindeshauses, Albrechtstraße 81a eingeladen. Manche von Ihnen haben die Pfarrer:innen in der letzten Zeit zu den diffamierenden Mails angesprochen. Darüber sollen Sie nicht im Unklaren bleiben.

Der Historiker Dr. Sven Oliver Müller, der ebenfalls zum Kreis der ehrenamtlichen Helfer:innen zählt, hat derlei Propagandamaßnahmen mit Blick in Geschichte und Gegenwart an diesem Abend eingeordnet und auch auf Fragen aus der Zuhörerschaft geantwortet. Vielen Dank!

19. September 2023 :: Neuigkeiten aus der Notunterkunft

Liebe Unterstützer:innen der Notunterkunft,

nach langer Zeit melden wir uns endlich und wollen gerne mit dieser Mail drei Dinge nachholen, die wir unbedingt schon vor einer Weile hätten tun sollen und die im Nach-Sommerurlaub-Arbeits-Wust kurzzeitig untergegangen sind:

Zuallererst möchten wir Sie alle herzlich zum Erntedankgottesdienst am kommenden Sonntag um 11 Uhr in die Markuskirche einladen. Wir werden gemeinsam für das schaffensreiche Jahr danken. Dazu werden Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein und Präses (der Landessynode) Harald Geywitz zu Besuch sein, die beiden Ehrenamtlichen Elke Kuhn-Seeger und Victoria Abakumovskikh stellvertretend für den großartigen Einsatz aller ehrenamtlicher Unterstützer:innen der Notunterkunft im Namen der Kirchenleitung der Landeskirche die Paul-Gerhardt-Medaille verleihen werden. Wir hoffen sehr darauf, dass Sie zahlreich vertreten sind - es ist eine Ehrung für Sie alle!

Im Anschluss stoßen wir auf einander und die Arbeit an, die wir gemeinsam geschafft haben.

Dann wollen wir Sie endlich auf diesem Wege darüber informieren, dass der Gemeindekirchenrat der Markus-Gemeinde noch kurz vor der Urlaubszeit entschieden hat, die Notunterkunft im Gemeindesaal nun doch bis voraussichtlich Ende April 2024 fortzuführen.

Dieser Entscheidung gingen diverse Gespräche mit Verantwortlichen im Bezirk voraus. Wir sind froh, dass wir durch die Gespräche und Verabredungen nun die Unterkunft in unserem Haus weiter erhalten können. Wir lesen ja jeden Tag darüber, wieviele ukrainische Geflüchtete noch in Berlin erwartet werden und dass es keinen angemessenen Platz für sie gibt. Da die Weiterführung der Notunterkunft aber auch wiederrum einige Veränderungen schon mit sich gebracht hat und noch bringen wird und einige von Ihnen auch schon nach Möglichkeiten der Unterstützung gefragt haben,

laden wir Sie drittens alle am Freitag, dem 6. Oktober, um 19:30 Uhr in die Kapelle der Markus-Kirche ein, um über die Entscheidung zu informieren, Fragen zu beantworten und darauf zu schauen, wo Unterstützung und Hilfe weiterhin notwendig sind.

Zu guter Letzt doch noch ein Viertes - ein Vor-Erntedanks-Gruß: Wir sind sehr froh und dankbar, dass Sie seit über 18 Monaten das Projekt Notunterkunft zusammen tragen, mit Ihren Mitteln und Möglichkeiten unterstützen und so ein Stück Heimat in der Fremde schaffen. Wir erleben hier tagtäglich, wie dankbar die Menschen sind, die hier im Haus vorübergehend leben (müssen), und möchten diese Dankbarkeit so gerne an Sie alle weitergeben.

Seien Sie behütet und herzlich gegrüßt in die Nacht!
Carolin Marie Göpfert & Sven Grebenstein

Presse zur Notunterkunft Markusgemeinde

März 2024 Ausgabe 02 (209) :: Die Stadtteilzeitung :: Ukraine-Flüchtlinge

Ukraine Flüchtlinge

Gut 54.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge leben aktuell in der Stadt, mehr als 115.000 flohen insgesamt seit Kriegsbeginn vor genau zwei Jahren hierher. Etwa 900 Ukrainerinnen und Ukrainer kommen weiterhin pro Monat in Berlin an – soweit all die nackten Zahlen der Senatsinnenverwaltung und des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten.

Lesen Sie in der Stadteilzeitung weiter ...

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23.02.2024 :: EKBO :: Zwei Jahre Notunterkunft

Zwei Jahre Notunterkunft in der Markus-Kirchengemeinde Berlin-Steglitz

Von Pfarrerin Carolin Marie Göpfert.

Am 24. Februar 2024 jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine zum zweiten Mal. Kurz nach Kriegsbeginn, mit Eintreffen vieler ukrainischer Flüchtender in Berlin, hat die Markus-Gemeinde entschieden, ihr Gemeindehaus zu räumen und als Notunterkunft zur Verfügung zu stellen.

Betten im Gemeindesaal, Lagerräume in der Jugendetage, Kleiderspenden im Erdgeschoss: Die evangelische Markusgemeinde in Berlin-Steglitz beherbergt seit zwei Jahren Flüchtlinge aus der Ukraine. Zwischen 40 und 50 Menschen leben dort derzeit.

Pfarrerin Carolin Marie Göpfert berichtet über Ihre Erfahrungen:

Als ich am 24. Februar 2022 aufwachte und noch im Liegen die Nachrichten checkte, spürte ich unmittelbar, was in mir in den kommenden Tagen immer präsenter werden sollte: Ungläubigkeit, dass so ein Krieg in unserer Zeit geschieht; Angst vor den Auswirkungen auf das Leben meiner Familie; Ratlosigkeit, was nun zu tun sei; Wut auf die zerstörerischen und von Hybris besessenen Menschen…

Ich ahnte, dass dieser Krieg mein Leben in den folgenden Tagen, Monaten, Jahren bestimmen würde; und gleichzeitig hoffte ich, dass er nur kurz andauern würde. Damals hielten manche es für möglich, es könne vielleicht nur ein paar Tage dauern.

Am Morgen des 24. Februar 2022 war Andrij Lut gerade in Moskau. Andrij war Ukrainer: in Donezk geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, studiert, gearbeitet – und schwer erkrankt. In seiner Heimat konnte man ihm nicht mehr helfen. Darum setzte er seine Hoffnung auf die russischen Ärztinnen und Ärzte. Im Krankenhaus erfuhr er über Nachrichten von daheim über den Angriff Russlands auf sein Heimatland. Er war entsetzt. Später wird er sagen: In den Augen der Ärzte habe er gesehen, dass sie ihn schon begraben hätten. Er verließ Moskau, so schnell er konnte. Mit ihm seine Mutter Larissa. Über viele Irr- und Schleichwege kommt er schließlich nach Berlin. Ausgezehrt von der Flucht und ermattet von der Krankheit kommt er in unserem Gemeindehaus an.

Seit dem 13. März 2022 ist unser Gemeindehaus eine Notunterkunft für Schutzsuchende aus der Ukraine. Andrij und Larissa kommen bei uns unter, großartige Ehrenamtliche – unter ihnen Ärztinnen und Ärzte – kümmern sich um sie, Andrij wird in der Charité aufgenommen und bekommt die beste Behandlung, die hier möglich ist. Überhaupt habe ich in dieser erschütternden Zeit auch so viel erlebt, was mich hoffnungsvoll werden ließ: Der Mann etwa, selbst finanziell am Limit, der mir einen großen Schein für die Schutzsuchenden in die Hand drückt; ich weiß, ein Jahr zuvor wurde ihm zu Weihnachten Geld geschenkt. Neben ihm auch andere, die für unsere kleinsten Gäste Unmengen an Feuchttüchern und Windeln, flauschige Kuscheltiere, weiche Decken brachten; das war nicht nur materielle Hilfe, darin drückte sich auch zärtliche Anteilnahme aus.

Oder eine Frau aus dem Kiez, die mit einem Kofferraum voll ukrainischer Lebensmittel vorfuhr. Oder Konfirmandinnen und Konfirmanden mit ihren Eltern, die Unmengen an Bettwäsche übereinanderstapelten. Und so viele andere mehr. Die Apothekerin von nebenan brachte dringend nötige Medikamente. Eine Floristin spendete regelmäßig Blumen, damit es schön aussieht im Gemeindehaus. Die Friseurin um die Ecke bot an, den ukrainischen Gästen kostenlos die Haare zu schneiden; sie wisse, wie wichtig das für Frauen in schwerer Lage sei. Der Optiker versorgte die Schutzsuchenden mit wertigen Brillengestellen. Das Team eines Unternehmens fuhr wöchentlich auf Firmenrechnung zum Einkauf, um die Menschen hier zu versorgen.

Diese Menschen setzten sich sehr bewusst und entschieden für die ein, an deren Schicksal sie Anteil nahmen. Solche Menschen geben mir Hoffnung, nun schon über zwei Jahre. Und ich weiß: So wie bei uns war es an vielen Orten in Berlin und in ganz Deutschland. Und das Miteinander von Zivilgesellschaft, Behörden und Institutionen war beeindruckend.

Durch solche Menschen fand Andrij freundliche, mitfühlende Aufnahme. Er sagte damals, es gehe ihm gut. Aber er selbst spürte: Er wird sterben. Er kämpfte mit Ängsten und Dämonen. Andrijs Leidenschaft war das Zeichnen. Im Krankenhaus zeichnete er. Wenige Tage vor seinem Tod – schreiben konnte er nicht mehr – zeichnete er eine Leber – heil und unversehrt. Darüber notierte er: „Plan meines Lebens: Ich will für meine Eltern sorgen und meine Großmutter. Ich möchte eine Frau und zwei Kinder. Ich möchte fischen, malen, reisen und gut verdienen.” Andrij Lut starb am 16. April 2023, dem orthodoxen Osterfest. Er wird 32 Jahre, 7 Monate und 28 Tage alt. Seine letzten Worte auf Erden waren: „Mama, es ist alles gut.”

Bei seiner Trauerfeier in der Markus-Kirche saß ich in der letzten Reihe. Meine Tränen rannen die Wangen herab. Ich merkte, wie erschöpft ich war. Und die Trauer über Andrij und um all die individuellen Schicksale, die ich begleitet hatte, bahnte sich ihren Weg. Ich sah Larissa, seine Mutter, und dachte an all die Mütter, die in diesem Krieg ihre Kinder verloren haben. Ich sah Maria, eine junge Frau, die ihn ins Krankenhaus begleitet hatte, beim Übersetzen half und der Familie beistand, und dachte an all diejenigen, die geholfen haben, ohne vorher zu wissen, worauf sie sich einlassen würden. Ich sah Evgeni – vormals bei einer ukrainischen Spezialeinheit, nun wegen Krankheit ausgemustert, dabei gerade Anfang 30 –, wie er mit seiner Videokamera die Trauerfeier aufnahm – für die Familie in der Ukraine. Ich wusste, er denkt auch an seine Freunde, die kämpfen; viele hat er schon verloren. Und ich sah viele Menschen aus dem Kiez, die hier geholfen haben; und ich vermutete, sie waren so erschöpft wie ich.

Nun ist wieder 24. Februar. Der große Angriffskrieg dauert nun schon 730 Tage. Aber unsere ukrainischen Gäste erinnern uns daran, dass schon viel länger Krieg war im Osten ihres Landes. In ihren Gesichtern hier in Berlin sehen wir Ungewissheit und Verzweiflung. Und ich frage mich: Wie muss es erst all den Menschen in der Ukraine gehen, die schon so lange im Ausnahmezustand leben?

Die Notunterkunft in der Markus-Gemeinde ist inzwischen 714 Tage alt. Und seit 642 Tagen beten wir jeden Samstag um Frieden. Immer mit den gleichen Worten, immer mit demselben Ablauf.

Wir entzünden Kerzen für die, die uns am Herzen liegen. Und wir üben uns zeichenhaft im Frieden-Machen, "Friedensgruß" heißt das in der liturgischen Sprache der Kirche. Das ist oft ein inniger Moment: Viele umarmen sich herzlich und wünschen einander Frieden. Eine Unterbrechung im Ausnahmezustand.

Nie hätten wir damals vor zwei Jahren gedacht, dass noch immer Schutzsuchende bei uns im Gemeindehaus Zuflucht finden. Andrijs Mutter ist nach der Trauerfeier zurückgefahren in die Ukraine. Sie wollte die Asche ihres Sohnes in der Heimat beisetzen. Beim Abschied sagte sie: "Ich weiß nicht, wie lange ihr noch Menschen aufnehmen könnt und wie stark eure Kräfte sind. Aber einen Wunsch habe ich: Bittet, betet immer weiter für den Frieden!" [EKBO Quelle]

Links

22.09.2023 :: Paul-Gerhardt-Medaille der EKBO geht an zwei Ehrenamtliche

Kirchenleitug zeichnet ehrenamtliches Engagement aus

Im Erntedankgottesdienst in der Markuskirche am 24. September 2023 wurden zwei Frauen ausgezeichnet, die sich besonders für Geflüchtete aus der Ukraine eingesetzt haben:

Victoria Abakumovskikh und
Elke Kuhn-Seeger.

Mit dieser Auszeichnung an Victoria und Elke möchte die EKBO auch den außerordenlichen Einsatz der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer für die Notunterkunft der Markus-Gemeinde würdigen.

Ehrung für das Engagement für Geflüchtete, insbesondere für Ukrainer:innen die seit dem Ausbruch des Krieges ihre Heimat verlassen mussten.

Mit Kirchenleitungsbeschluss vom 26.05.2023 verleiht die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) am Sonntag, 24.09.2023 um 11 Uhr, die Paul-Gerhardt-Medaille im Rahmen eines Gottesdienstes in der Markuskirche, Karl-Stieler-Str. 8 A, 12167 Berlin an zwei Ehrenamtliche der Ev. Markus-Kirchengemeinde in Steglitz: Victoria Abakumovski und Elke Kuhn-Seeger. Mit dieser Auszeichnung ehrt die Landeskirche in diesem Jahr zwei Menschen, die sich besonders für Geflüchtete aus der Ukraine eingesetzt haben. Die Medaille wird vom Präses der Landessynode der EKBO, Harald Geywitz, verliehen. Die Laudatio hält Ulrike Trautwein, die Generalsuperintendentin des Sprengels Berlin. Geleitet wird der Gottesdienst von Pfarrer Sven Grebenstein und Pfarrerin Carolin Marie Göpfert.

Vor dem Hintergrund immer größer werdender gesellschaftlicher Herausforderungen, denen sich die in Deutschland lebenden Menschen ausgesetzt sehen, will die EKBO mit der Paul-Gerhardt-Medaille Menschen würdigen, die durch ihr ehrenamtliches Engagement zum sozialen Zusammenhalt beitragen und anderen helfen, in Würde zu leben. „Was unsere Kirchengemeinden in den Wochen und Monaten seit Kriegsausbruch an und mit Geflüchteten geleistet haben, ist unübertroffen. Die vielen Ehrenamtlichen schaffen für die Ukrainer und Ukrainerinnen, die zu uns kommen, täglich ein kleines Stück Heimat, in dem sie unermüdlich für sie da sind und ihnen helfen, in dem für sie fremden Land zurecht zu kommen“, sagt Präses Harald Geywitz. „Die Markus-Gemeinde ist beispielhaft für ihr Engagement und so sind es die beiden Geehrten.“ Mit der stellvertretenden Verleihung der Medaille an Victoria Abakumovski und Elke Kuhn-Seeger würdigt die Kirchenleitung zugleich alle ehrenamtlich tätigen Menschen, die sich in der Landeskirche auf unterschiedliche Weise für Geflüchtete einsetzen.

Victoria Abakumovskikh

Victoria Abakumovskikh ist seit März 2022 ehrenamtlich in der Notunterkunft der Markus-Gemeinde in Steglitz engagiert. Sie steht exemplarisch für die Vielfalt der ehrenamtlich Engagierten und für den Einsatz der vielen Helferinnen und Helfer, ohne die die Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine im Gemeindezentrum der Markus-Gemeinde nicht möglich gewesen wäre. Victoria Abakumovski gibt zweimal in der Woche Deutsch-Kurse für die Gäste im Haus, die viel Zuspruch erfahren. Zusätzlich setzt sie sich mit großem Engagement für die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher ein. Für diesen herausragenden ehrenamtlichen Einsatz spricht die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Vicoria Abakumovskikh ihren herzlichen Dank aus.

Elke Kuhn-Seeger

Elke Kuhn-Seeger ist ebenfalls seit März 2022 ehrenamtlich in der Notunterkunft der Markus-Gemeinde in Steglitz engagiert. Sie hat sich täglich, auch am Wochenende und nachts, mit großer Intensität in der Begleitung und Beratung insbesondere von Familien engagiert und ihr medizinisches Fachwissen als Krankenschwester in den Dienst der Geflüchteten gestellt. Für diesen herausragenden ehrenamtlichen Einsatz spricht die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Frau Kuhn-Seeger ihren herzlichen Dank aus.

Paul-Gerhardt-Medaille

Mit der Paul-Gerhardt-Medaille ehrt die EKBO Menschen, die sich durch außergewöhnliches kirchliches Engagement auszeichnen. Mit diesem Zeichen des Dankes unterstreicht die Kirchenleitung die Bedeutung des ehrenamtlichen Dienstes von Christinnen und Christen in den Gemeinden und vielfältigen Einrichtungen der Kirche als Ausdruck des Priestertums aller Glaubenden. Der Name Paul Gerhardt ist verbunden mit einem Reichtum an Liedern und Texten, die wie wenige andere evangelische Frömmigkeit geprägt haben und dabei helfen, im Alltag aus Gottes Gnade zu leben. Die Lieder des Pfarrers Paul Gerhardt, der auf dem Gebiet der heutigen EKBO gewirkt hat, gehören zum Liedschatz der weltweiten Christenheit. [Quelle: Pressemitteilung EKBO]

07.09.2023 :: NL Leute Steglitz-Zehlendorf :: Gelebte Gastfreundschaft
Tetjana und ihr Hund NikeTetjana und ihr Hund Nike
Teil des Markus-TeamsTeil des Markus-Teams

Gelebte Gastfreundschaft:
Besuch in der Notunterkunft der Markus-Gemeinde.

Der Chihuahua, vielleicht ist auch noch einen Teil Mops dabei, springt auf dem Feldbett hin und her, er schnuppert an der dargereichten Hand, springt zurück, bellt, springt wieder – Nike, so heißt er, ist ein sportlicher Typ, gerade mal zwei Jahre alt. Tetjana, seine Besitzerin, steht neben ihrem Bett, lacht Nike an, nimmt ihn auf und strahlt über das ganze Gesicht. Es ist ein ukrainischer Hund, der mit seinem Frauchen in der Notunterkunft der Steglitzer Markus-Gemeinde lebt. Tetjana, sie ist 50, ist im Februar vor dem Krieg aus der Region Donetzk nach Berlin geflohen. Ihr Sohn kämpft in der Ukraine, ihre Tochter ist mit ihr nach Berlin gekommen und lebt in Neukölln.

Beengte Unterkunft. Der große Saal im zweiten Stock des Gemeindehauses an der Albrechtstraße wurde in vier „Räume“ aufgeteilt. Sperrholzwände schaffen die Illusion von Privatsphäre. Tetjana teilt sich ihren Raum mit acht anderen geflüchteten Menschen. Insgesamt leben 40 Gäste, so nennt die Gemeinde die Zufluchtsuchenden, im Gemeindesaal; 15 weitere haben in zwei Wohnungen im Gebäude Obdach gefunden. „In den beiden Wohngemein­schaf­ten wohnen Gäste, bei denen klar ist, dass sie in Berlin bleiben sollen oder wollen“, sagt Pfarrer Sven Grebenstein. Vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hätten in der Gemeinde Studierende gelebt.

Doch schon drei Wochen nach Kriegsbeginn plante die Gemeinde um. Ukrainische Flüchtlinge, meist Frauen und Kinder, kamen nach Deutschland, fanden sich auf dem Berliner Hauptbahnhof wieder. Die Markus-Gemeinde beschloss zu helfen und stellte ihr Gemeindehaus den Menschen in Not zur Verfügung. Zeitweise schliefen bis zu 90 Menschen pro Nacht im Gemeinde­haus. „Unsere Notunterkunft ist einmalig“, ist sich Michael Zwilling sicher. Er ist Mitglied des Gemeindekirchenrats und gehört zum Team der Sozialbegleitung. „Keine andere Gemeinde hat ihr Gemeindehaus aus Gastfreundschaft den Menschen aus der Ukraine zur Verfügung gestellt“, ergänzt Pfarrer Grebenstein.

Trotz aller Arbeit, aller Herausforderungen und Hürden ist sich die Ge­meinde bis heute einig, das Richtige zu tun: „Bisher waren alle Beschlüsse zur Not­unter­kunft im Gemeindekirchenrat einstimmig“, sagt der Pfarrer. Schnell wurde deutlich, dass die Betreuung und Begleitung ihrer Gäste, dass Ge­sprä­che und Papierkram, Hilfe beim Ausfüllen von Behördenformularen, Über­setz­ungen und der Umgang mit Angst und Trauer, von den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern – über 400 Menschen engagieren sich – und den haupt­amtlichen Beschäftigten der Gemeinde nicht zu leisten sind. Nach und nach wurde die Sozialbegleitung und die Betreuung in der Nacht professionalisiert. Heute sind sechs Mitarbeitende nur mit dem Betrieb der Notunterkunft be­schäftigt.

Bis vor einem Jahr, es war der Herbst 2022, konnte das Gros der Arbeit, die Einrichtung, die Materialien sowie Strom und Wasser aus Spenden finanziert werden. „Wir haben im ersten halben Jahr immens viele Spenden bekom­men“, erinnert sich der Pfarrer. Doch als die Energiepreise in die Höhe schossen und die Inflation dramatisch stieg, sei das Spendenvolumen um 97 Prozent zurück­ge­gangen. Aber: „Allein für die Hausreinigung geben wir 5000 Euro im Monat aus“, gibt Sven Grebenstein zu bedenken. Für die Gemeinde sei schnell zweierlei klar gewesen: Zum einen müsse der Betrieb der Notunterkunft über den Winter weitergehen. Und zum anderen: Es muss sich etwas ändern.

Bis Ende Juni 2023 haben wir eine Viertelmillion Euro aus Gemeindemitteln eingesetzt“, sagt Pfarrer Grebenstein. Die Kassen leerten sich. Die Gemeinde wandte sich an das Sozialamt und die soziale Wohnhilfe – mit Erfolg. „Wir haben gute Gespräche mit dem Amt und mit Sozialstadtrat Tim Richter geführt“, sagt Pfarrer Grebenstein. Seit dem Sommer werde jeder belegte Platz pro Nacht mit dem Amt über eine Pauschale abgerechnet, „wir haben jetzt eine Betreiber­stellung“. Durch die Pauschale werde der Betrieb der Notunterkunft auskömm­lich finanziert, samt der Gehälter der sechs Beschäftigten. Längst hat die Gemeinde beschlossen, die Notunterkunft bis Frühjahr 2024 zu betreiben. „Die Aufenthaltstitel unserer Gäste laufen bis zum Frühling“, erklärt Maria Shevchenko, auch sie arbeitet in der Sozialbegleitung der Notunterkunft. Dann müsse das Aufenthaltsrecht für die Menschen aus der Ukraine europaweit neu geregelt werden. Was das für die geflüchteten Menschen und den Betrieb der Unterkunft bedeute, sei heute noch nicht absehbar. Auch der Kriegsverlauf sei entscheidend. Denn die meisten der Bewohnerinnen und Bewohner des Gemeindehauses – es sind nur fünf Männer darunter – wollen so schnell wie möglich zurück in die Ukraine. Ihr Kollege Michael Zwilling ist schon seit vielen Jahren in der Arbeit mit Flüchtlingen aktiv. Von geflüchteten Menschen aus anderen Regionen der Welt habe er oft als Erstes die Frage gehört: „Wie lange können wir bleiben?“ Von den Gästen in der Markus-Gemeinde werde eine andere Frage gestellt: „Wann können wir zurück?“

Zugleich sorgen die erlebten Kriegserlebnisse für Ängste und Krankheit. Rattert der Rettungshubschrauber „Christoph 31“ auf dem Weg vom oder zum nahen Charité-Klinikum Benjamin Franklin über das Gemeindehaus hinweg, verstecken sich die Kinder. Zu großen psychischen Belastungen führe auch die Sorge um das Wohlergehen der Ehemänner und Brüder, die in der Ukraine geblieben sind und teilweise an der Front kämpfen. „Sie wissen nicht, ob sie ihren Mann oder ihren Vater jemals wiedersehen“, sagt Sven Grebenstein. Das, wie er sagt, „schlechte Gewissen der Davongekommenen“ nage an den Frauen.

Wir haben gerade eine Frau mit einer schweren depressiven Episode“, so der Pfarrer. „Immer, wenn im Saal das Licht ausgeht, kommen die Erinnerungen an den Krieg.“ Das Team der Gemeinde kümmert sich, unterstützt bei der ärztlichen Behandlung. Viele Gespräche – Maria Shevchenko und ihre Kollegen sprechen fließend Russisch – werden geführt. Das größte Plus des Teams ist das erworbene Vertrauen der Gäste in ihre Gastgeber. Das wird auch immer wichtiger. Denn die Verweilzeiten in der Notunterkunft sind enorm gestiegen. „Im letzten Jahr blieben die Leute ein, zwei Tage oder eine Nacht hier“, sagt der Seelsorger, „inzwischen sind das Monate“. Selbst wenn die ukrainischen Gäste eine andere Unterkunft mit mehr Privatsphäre in Aussicht hätten, würden die langen Bearbeitungszeiten den Umzugsplänen oft einen Strich durch die Rechnung machen. „Es dauert bis zu acht Monate, bis die Behörden die Genehmigung erteilen, wegzuziehen“, berichtet Michael Zwilling.

Tetjana und ihr Hund Nike sind schon seit Monaten Gäste in der Notunterkunft. Sie werden es wohl auch noch länger bleiben. Der erste tierische Bewohner im Gemeindehaus ist Nike übrigens nicht. „Wir haben außer Pferden und Kühen schon alles gehabt“, sagt Michael Zwilling. Er selbst habe zwei ukrainischen Katzen Obdach gewährt, deren Besitzer die Tiere nicht in die neue Wohnung mitnehmen durften. „Wir haben einen Kater aus Kiew und eine Katze aus Odessa.“ Mischa und Odessa seien gut eingegliedert, hätten deutsche Pässe „und können auf Deutsch miauen“.

Jeden Samstag um 18 Uhr lädt die Markus-Gemeinde zum Friedensgebet in die Markuskirche (Karl-Stieler-Straße 8a) ein. Die Andacht wird zweisprachig auf Deutsch und Russisch gehalten. „Kernelement ist das Anzünden von Kerzen in Gedenken an Menschen, die einem am Herzen liegen“, erläutert Pfarrer Sven Grebenstein. Obwohl die meisten der ukrainischen Gäste orthodox seien, kämen sie sehr gerne zu den kurzen Gottesdiensten, „das sind 20 bis 30 Minuten“, so der Pfarrer. Alle seien eingeladen.

Ab dem 15. September startet die Gemeinde zudem das „Café Charkiwim Gemeindehaus (Albrechtstraße 81a). Freitags zwischen 13 und 16 Uhr sollen „freundliche Begegnungen“ zwischen ukrainischen Gästen und Men-schen aus der nahen und weiteren Nachbarschaft ermöglicht werden. „Kommen Sie vorbei, lassen Sie uns zusammen eine gute Zeit haben – und wenn wir mal Übersetzung brauchen, bin ich gerne bereit!“, sagt Maria Shevchenko.

Sach- und Geldspenden für die Notunterkunft sind weiter hochwillkommen. Näheres finden Sie auf der Website www.markus-gemeinde.de.

  • Boris Buchholz ist in Wilmersdorf und Lankwitz aufgewachsen. Der Tagesspiegel-Redakteur lebt in Zehlendorf – die lokale und globale Politik interessiert ihn, seitdem er in der Fichtenberg-Oberschule die Schulbank drückte. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an boris.buchholz(at)tagesspiegel.de. | Ausschnitt aus Newsletter Leute Steglitz-Zehlendorf vom 7. September 2023.
27.08.2023 :: dlf kultur :: Audiobeitrag: Wie Fluchtgeschichten prägen

Wasser, Wüste, Mauern, Trümmer

Wie Fluchtgeschichten prägen

Deutschlandfunk Kultur | 27.08.2023 | Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit

Audiobeitrag im neuen Tab

FLUCHT. Ein Wort, sechs Buchstaben, eine Silbe. Ein kleines Wort, das große Gefühle und Sehnsüchte auslöst. Es steht für Gefahr und Verlust, für Angst und Hoffnung. Ein Wort, das Assoziationen weckt. Bilder entstehen in meinem Kopf - Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart, die sich durchmischen: Pferdetrecks auf ihrem Weg durch Schnee und Eis. Menschen, die Stacheldraht überwinden oder sich durch dunkle Tunnel zwängen. Autoschlangen verzweifelter Menschen, die vor Bomben fliehen. Viel zu kleine, völlig überladene Boote auf der gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer. Flüchtlinge, die in der Wüste ausgesetzt werden, weil niemand sie haben will – ohne Essen, ohne Trinken.

Hinter jedem Menschen steht eine Fluchtgeschichte. Für die einen führt sie in ein fremdes Land, das bestenfalls zur neuen Heimat wird. Für die anderen endet sie mit Einsamkeit und Enttäuschung, für nicht wenige mit dem Tod. Viele vergessen die Heimat nie, aus der sie gekommen sind. Die Sehnsucht danach wird zum Teil ihres Wesens. In Berlin erinnert eine Gedenktafel an den in Aserbaidschan geborenen Schriftsteller Essa Bey. Er emigrierte 1920 nach Europa – auf der Flucht vor der Okkupation seiner Heimat durch die Rote Armee. Von 1922 bis 1932 lebte er in Berlin, dann wurden seine Bücher in Deutschland verboten. Er floh erneut vor den Nationalsozialisten - erst nach Wien, dann nach Italien. Dort starb er mit nur 36 Jahren. Auf der Gedenktafel steht dieses Zitat von ihm:

„Sinnlos ist das Leben ohne Heimat“.

Im März 2022 zeigte unsere evangelische Gemeinde im Kiez, was Kirche kann: Mit großem Engagement wurde das Gemeindehaus zu eine Flüchtlingsunterkunft. Da, wo sonst Feste gefeiert werden, Basare stattfinden oder Synoden tagen, wurden 90 Klappbetten aufgestellt. In der Nachbarschaft wurde zu Spenden aufgerufen: Decken und Bettzeug, Windeln und Zahnbürsten, Kinderkleidung und Waschlappen gesucht. Kurze Zeit nach diesem Aufruf waren die Lagerräume voll. Dann kamen die ersten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine: Kinder und Familien, Alte, Babys, Kranke – auch das ein oder andere Haustier. Bis heute gibt es die Unterkunft. Der Krieg geht ja immer noch weiter. Viele Menschen kamen seitdem: Manche blieben nur kurz, manche länger. Viele sind immer noch unterwegs, suchen nach einer Perspektive, einem neuen Zuhause, hoffen auf Rückkehr eines Tages. Carolin Marie Göpfert schreibt Geschichten dieser Menschen auf. Als Pfarrerin der Markusgemeinde in Berlin-Steglitz führt sie eine Art Tagebuch in den sozialen Netzwerken. So können Menschen Anteil nehmen, bekommen der Krieg und seine Folgen ein Gesicht. Bleibt etwas von den Menschen, die unfreiwillig alles hinter sich lassen mussten und noch nicht wirklich angekommen sind. Was eine Existenz als Flüchtling bedeutet, bringt eine Ukrainerin bei einem Friedensgebet zum Ausdruck, das am Jahrestag des Überfalls der russischen Armee auf die Ukraine in der Marienkirche in Berlin-Mitte stattfand. Galina kommt aus Charkiw, sie ist 39 Jahre alt, sie betet so – in Anlehnung an Worte aus dem 142. Psalm:

Unser Haus steht nicht mehr.
Ich weiß nicht, ob mein Mann noch lebt.
Hier habe ich nichts.
Ich verstehe, dass ich in der Fremde niemand bin.
Ich kann aber noch nicht verstehen, dass ich nun auch in meiner Heimat nichts mehr habe und niemand mehr bin.
Ich schreie zum HERRN mit meiner Stimme …
Ich schütte meine Klage vor ihm aus und zeige an vor ihm meine Not …
Ich kann nicht entfliehen, niemand nimmt sich meiner an …
HERR zu dir schreie ich und sage:
Du bist meine Zuversicht, mein Teil im Land der Lebendigen.
Höre auf meine Klage, denn ich werde sehr geplagt.
Errette mich von meinen Verfolgern, denn sie sind mir zu mächtig.

Mit Flucht und Vertreibung fängt alles an. Als Adam und Evas Tage gezählt waren im Paradies. Berühmte Maler haben die Szene festgehalten: Die beiden fliehen nackt vor dem bewaffneten Engel, der den Garten Eden ab sofort bewachen wird. Es gibt kein zurück. Und unstet geht die Geschichte der Menschen weiter. Unzählige Fluchtgeschichten erzählt die Bibel. Von ganzen Völkern, die vertrieben werden, von einzelnen, die fliehen aus Angst vor Strafe, weil sie Schuld auf sich geladen haben. Kain wird der Nächste sein: Er erschlägt den eigenen Bruder, Abel. Gott verflucht ihn daraufhin mit den Worten:

Unstet und flüchtig sollst Du sein auf Erden. (Genesis 4,12).

Auch Jakob wird später schuldig an seinem Zwillingsbruder Esau. Er betrügt ihn ums Erbe des Vaters und dessen Segen, der nur dem Erstgeborenen gilt. Jakob ist der Zweitgeborene. Die List fliegt erst auf, als es zu spät ist. Also ergreift Jakob die Flucht. Er flieht in die Dunkelheit –es bleibt ihm nichts als ein nackter, harter Stein. Auf ihm wird er seinen Kopf betten wie auf einem Kissen. Dort wird er schlafen und von einer Himmelsleiter träumen, auf der Engel auf- und absteigen. Er träumt von Wegen, die nicht mehr versperrt sind. Von Aufbruch und Heimkehr. Und von dem großen Versprechen einer neuen Heimat:

Ich bin der HERR, dein Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. (Genesis 28, 13)

In den ersten Tagen der Flüchtlingsunterkunft im Gemeindehaus der Markusgemeinde schreibt die Berliner Pfarrerin Carolin Marie Göpfert in ihr digitales Tagebuch:

Tag 9

Die Tür des Großraumtaxis geht auf. Als erste fällt uns die Kleine fast entgegen. So müde und geschafft ist sie. Nach und nach kommt ihre ganze Familie aus dem Taxi. Ihre drei Geschwister. Das Jüngste ein paar Wochen alt. Ihre Eltern. Ihr ganzes Gepäck: ein Buggy. Mehr haben sie nicht. Wir bringen sie ins Haus und fragen, was sie brauchen. Schlafen wollen sie. Nur noch schlafen. So lange waren sie unterwegs. Und am nächsten Morgen soll es weitergehen. Der eine Sohn hat kaputte Schuhe. Ob wir Schuhe für ihn hätten. Sie suchen sich ein Paar aus. Wirken überglücklich. Dann gehen sie ins Bett. Wir treten aus dem Haus. Die Nachtigall singt. Eine Freiwillige sagt: Gegen diese Menschen führt Putin Krieg!

Fluchtgeschichten. Sie gleichen sich durch alle Zeiten hindurch. Die Ursachen für eine Flucht können vielfältig sein. Die Umstände ähneln sich – egal zu welcher Zeit. Wer auf der Flucht ist, ist ruhe- und schutzlos. An Schlaf ist kaum zu denken. Jakob richtet am Morgen danach den Stein, auf dem er geschlafen hat, zu einem Steinmal auf. Er gießt Öl darüber und leistet folgenden Schwur:

Wird Gott mit mir sein und mich behüten auf dem Weg, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der HERR mein Gott sein. Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Steinmal, soll ein Gotteshaus werden… (Genesis 28, 20ff.)

Tag 3

Ich klopfe zum ersten Mal an die Tür eines der Zimmer, wo die Menschen unterkommen, die besonders viel Ruhe brauchen. Dazu gehören diese Drei: eine Frau etwa um die 50, ihre über 80jährige Mutter und eine Katze. Ich weiß nicht, wie die jüngere Frau es geschafft hat mit Sack und Pack, gehbehinderter Mutter und Katze zu fliehen. Gewiss brauchte sie dafür eine immense Kraft. Ich sehe ihr die Strapazen nicht an. Als sie zu ihren Betten kamen, legte sich die Hochbetagte auf`s Bett und schlief. Sie schlief mehrere Stunden, vielleicht auch Tage. So erschöpft war sie. Als ich jetzt klopfe, ist bei mir eine Ärztin. Sie möchte nach der Hochbetagten schauen. Ich warte vor der Tür. Nach einiger Zeit die Gewissheit: Der alten Dame geht es gut. Ich bin beruhigt. Einige Tage später fragt mich die Tochter nach Sightseeingbussen. Kurz darauf sehe ich sie, wie sie mit ihrer Mutter spazieren geht. Auch den Gottesdienst am Sonntag besuchen sie. Jetzt sind sie wohlbehalten an einem anderen Ort untergekommen. Ich habe es nicht geschafft, mich zu verabschieden. Aber ich weiß, dass sie jetzt bei Menschen sind, wo alle Drei Platz haben und wohl behütet sind. Sogar die Katze.

Fluchterfahrungen sind unterschiedlich. Auch das Alter spielt dabei eine Rolle. Kindern fällt es oft leichter, irgendwo neu anzufangen. Sie begreifen nicht die ganze Tragweite eines Krieges. Nicht die Nöte der Eltern, auf denen alle Verantwortung lastet, die nicht wissen, wie es weitergeht. Kinder richten sich leichter ein, finden schneller neue Freunde. Sie entdecken Freude auch im Kleinen. Ihr Leben liegt vor ihnen. Sie schauen nicht so viel zurück:

Tag 10

Sie lachen laut. Unverschämt laut für diese Uhrzeit: 23:10 Uhr werktags im Hinterhof unseres Gemeindehauses. Der Hof ist umgeben von 20 Häusern. Und ich weiß: In jedem Haus, in jedem Schlafzimmer kann man jetzt dieses Lachen hören. Ich gucke aus dem Fenster. Sehe die beiden: zwei Jugendliche so um die 16 Jahre alt. Einige Tage sind sie schon bei uns. Der eine kam aus Charkiw nach Berlin. Bei der anderen weiß ich es nicht. Jetzt fahren sie Fahrrad. Mal auf einem geschenkten Damenrad, dann wieder auf `nem Kinderrad. Vielleicht probieren sie auch das Hello-Kitty-Dreirad, was im Hof zur freien Benutzung steht. Ich sehe es nicht. Aber ich höre sie umso lauter. Ich weiß, es nervt die Nachbarn. Einige werden sich ärgern. Ich denke: Ein Schild an den Ausgängen wäre gut – Nachtruhe ab 22 Uhr. Ich denke auch: aber nicht mehr heute! Erst morgen. Und gehe ins Bett, lächle und denke: Eigentlich auch schön!

Fluchtgeschichten heute und damals. Ich erinnere mich an meinen Patenonkel. Er wuchs auf in Bernau bei Berlin. In Berlin studierte er. Als die Mauer gebaut wurde und noch halbwegs durchlässig war, floh er mit seiner Mutter. Sie flohen in Raten: Jedes Mal, wenn er sich in die S-Bahn setzte, um nach Berlin in die Universität zu fahren, nahm er etwas vom Hausrat mit. Eine kleine Tasche mit Wäsche hier, ein wenig vom Besteck in der Aktentasche. Immer so, dass es nicht auffiel. Eines Tages blieb er drüben in West-Berlin. Wenige Tage später kam die Mutter nach. Sie brauchte lange, um im Westen neu zu beginnen.

Meine Großmutter stammte aus Ostpreußen. Als der Krieg begann, holte mein Vater sie rechtzeitig nach Westdeutschland. Das Grab ihres Mannes, das gemeinsame Gut ließ sie zurück. Sie verlor Kinder und Enkelkinder in den Wirren der Flucht. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in Hannover. Eine kleine alte Dame, die in ihrem Lehnstuhl saß und trotz allem sagte: „Kinder, das Leben ist lebenswert!“

Tag 11

Sie schaut ihr staunend hinterher. Dieser Frau mit langem Pelzmantel, weiß-blonden Haaren… hochhakigen Schuhen und einem goldenen weit ausgeschnittenen Kleid. Ich schaue meine kleine, staunende Tochter an und sage: „Du findest sie sehr schön“. Verträumt nickt sie. Sie ist schön. Auf ihre Weise. In ihrem Gesicht sehe ich Trauer, Schmerz und Gram. Ich frage mich, was sie alles erlebt hat. Wenn sie läuft, wirkt jeder Schritt beschwert. So als laste ein Joch auf ihr. In der Unterkunft ist sie eine Einzelgängerin. Die anderen meiden sie. Mich rührt sie an und macht mich traurig. Ich sehe so viel von ihrer Würde, und ahne das, was zerbrochen ist. Wenn sie gefragt wird, was sie braucht, sagt sie immer: Einen Ort, wo ich bleiben kann. Und wir suchen danach. Solange bleibt sie. Und wir staunen über sie, diese besondere Frau.

Ich stehe vor einer Glasvitrine. In der Vitrine liegen Schlüssel: große, kleine, kunstvoll geschwungene an einem Bund und ganz schlichte. Jeder Schlüssel erzählt eine Geschichte. Menschen, die damals am Ende des Kreises aus ihrer Heimat Schlesien vertreiben wurden und fliehen mussten. Viele schlossen damals ihre Häuser und Höfe ab und steckten den Schlüssel ein – in der verzweifelten Hoffnung, dass sie eines Tages zurückkommen und alles vorfinden würden, wie früher. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.

Ich bin im Schlesischen Museum in Görlitz, der Stadt an der Neiße. Eine Brücke verbindet heute den deutschen Teil des ehemaligen Schlesiens mit dem polnischen. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges begannen Wunden auf beiden Seiten langsam zu heilen. Neues konnte entstehen. Dass es Zukunft geben kann auch in der Fremde, dass Neuanfänge möglich sind trotz Leiderfahrung, das erlebt auch die Pfarrerin der Flüchtlingsunterkunft in der Markusgemeinde in Berlin-Steglitz. Carolin Göpfert schreibt in ihrem Tagebuch:

Tag 85

Es regnet in Strömen. Heute reist er ab. Von Beginn an war er hier. Jetzt steht er neben einem alten Van im Innenhof. Umringt von Taschen. Mit ihm ein Keyboard. Vor wenigen Tagen haben wir für ihn noch Noten ausgedruckt. Väterchen Frost. Die sind irgendwo verstaut zwischen all dem anderen. Er legt seine kleinen Hände auf die vergilbte Packung. Schützt sein Keyboard vor dem Regen. Um sein Handgelenk das lila Bändchen, auf dem steht: Evangelische Markusgemeinde. Er braucht es jetzt nicht mehr. Er trägt es trotzdem noch. Das Zeichen, das er einen Platz bei uns hat. Ich denke daran, wie wir ihn so oft zum Zahnarzt begleiten mussten. Wie ich ihn einmal auf dem Spielplatz gesehen habe – eine Stunde hat er an seinem Eis (3 Kugeln) gegessen. Ich denke an sein kindliches Gesicht mit dem ernsten Blick. Und ich sehe ihn, wie er geduldig wartet. Da mitten im Regen. Bis das Auto fertiggepackt ist. Seine Mutter telefoniert. An ihrer Hand baumelt ein Schulranzen.

Wie das Keyboard spricht er von einem Neubeginn. Dahin reist der Kleine jetzt. Der Himmel weint. Und ich, weil ich ihn verabschiede, und weil ich hoffe, dass es ihm gut gehen möge, wohin er geht.

„Flucht bezeichnet allgemein eine Reaktion auf Gefahren, existentielle Bedrohungen oder als unzumutbar empfundene Situationen; bei Tieren gehört Fluchtverhalten zum natürlichen Verhaltensrepertoire, beim Menschen ist ….die eilige Bewegung weg von der Bedrohung oft ziellos und ungeordnet, eine Flucht kann aber auch das gezielte Aufsuchen eines Zufluchtsortes sein,“ lese ich im Netz. Eine geordnete Fluchtbewegung war der Exodus, der das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit führte. Die Menschen damals hatten ein klares Ziel vor Augen: das gelobte Land. Nicht alle haben es erreicht. Aber die Geschichte vom Exodus ist und bleibt ein großes Freiheitsversprechen: Gott geht mit denen, die auf der Flucht sind. Er führt in die Freiheit, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen – so verheißt es die Bibel. Der Weg dahin ist nicht leicht. Er dauert lange. Doch eines Tages gibt es ein Ankommen. Gott verspricht Zukunft. Dass dieses Versprechen allen gilt – dafür müssen Menschen eintreten, die selber ein sicheres Zuhause haben. Menschen wie Carolin Göpfert tun das täglich. Und schreiben damit Hoffnungsgeschichten.

Tag 343

Heute wird sie ein Jahr alt. Sie schaut mich stolz an, als ich ihr gratuliere, und lächelt. Sie sitzt inmitten von Spielzeug und vielen anderen Menschen. Es ist laut und trubelig. Alle feiern mit ihr, dass sie 365 Tage in dieser Welt ist. Tage, in denen sie schon flüchten, die vertrauten Gerüche und Geräusche und ihren Vater verlassen musste. Zusammen mit ihrer nur wenige Minuten alten Schwester, ihrer Mutter und Tante, ihrer Oma und Cousine kam sie in unser Haus. Ich erinnere mich, wieviel sie geschrien hat. Gefühlt andauernd. Ich habe gesehen, wie die Augen ihrer Mutter immer müder wurden. Und ich war froh, wie sie alle schließlich einen Ort fanden, an dem sie mehr Platz hatten als hier. Sie lernte krabbeln, jetzt versucht sie die ersten Schritte. Viel wünsche ich ihr, diesem Kleinkind, aber das vor allem: Dass sie ihren Vater wiedersehen kann – wann und wo auch immer.

Es gilt das gesprochene Wort.

Musik dieser Sendung:
  1. Hannes Wader singt Schubert: Gute Nacht, CD-Titel: An Dich hab ich gedacht, Track Nr. 12.
  2. Dieter Falk: Nehmt Abschied, Brüder, CD-Titel: Volkslieder, Track Nr. 8.
  3. Dieter Falk: In einem kühlen Grunde, CD-Titel: Volkslieder, Track Nr. 4.
  4. Karussell: Als ich fortging, Brüder, CD-Titel: Die schönsten Rockballaden 2, Track Nr. 1.
  5. Dieter Falk: Der Winter ist vergangen, CD-Titel: Volkslieder, Track Nr. 9.

 

Quelle: Rundfunk evangelisch.de

Hier wird noch weiter ergänzt ...

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Friedensandacht

Paul-Gerhardt-Medaille, geschaffen von der Künstlerin Anne-Franziska Schwarzbach

Kirchenleitug zeichnet ehrenamtliches Engagement aus.

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