Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Inhalt springen
RSSPrint

Predigt zur Jahreslosung 2020

Gabriele Wuttig-Perkowski - Neujahr 2020

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9, 24)

Johanna seufzt: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Sie erinnert sich gut an die Geschichte: Wie Jesus mit Petrus, Jakobus und Johannes vom Berg herunterkam. Sie wirkten verändert. Auf Jesus lag ein Strahlen, fast ein Glanz. Was sie da oben wohl erlebt hatten? Nun ja, Berge waren in Israel von jeher Orte der Gottesbegegnung. Aber für Fragen blieb keine Zeit.

Eine große Menge hatte sich um die übrigen Freunde von Jesus versammelt. In ihrer Mitte stand ein Kind, ein Junge. Einige rissen an ihm herum, andere diskutierten. „Was ist passiert?“, wollte Jesus wissen. Und der Vater des Jungen schilderte die Leidensgeschichte seines kranken Kindes, dem niemand zu helfen vermochte, auch nicht die Schüler Jesu.

Jesus sagte ärgerlich: „Oh, ihr Ungläubigen! Wie lange muss ich euch noch ertragen?“ Und dann ließ er den Jungen bringen. Vor den Augen Jesu hatte er einen Anfall. Jesus befragte den Vater nach dem bisherigen Krankheitsverlauf.

Und der Vater bat: „Wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Jesus wurde ungehalten: „Was redest du? Alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt!“

Da schrie der Vater: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ 

Jesus bedrohte den Geist, der das Kind hin- und her riss. Da fuhr er aus.

Dämonen austreiben, das wäre nötig in dieser Zeit, dachte Johanna. Die kleine Gemeinde in Rom war bedrängt. Erst die Verfolgungen durch Kaiser Nero, der Christen im Zirkus gegen wilde Tiere kämpfen ließ – zur Belustigung des Volkes. Und die Niederschlagung des jüdischen Aufstandes durch Kaiser Vespasian. Die Gefangenen wurden im Triumphzug durch das Tor nach Rom geführt und hier als Sklaven verkauft. Und der Leuchter, die Menora aus dem Tempel wurde in Rom zur Schau gestellt. Es zerriss ihr das Herz, die Angehörigen des Volkes, aus dem Jesus kam, so gedemütigt zu sehen. Und zu allem Überfluss wurden sie in der jüdischen Gemeinde angefeindet, weil sie sich zu Jesus als dem Messias, dem Gesalbten Gottes bekannten. Keine guten Nachrichten. 

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“, dieser Aufschrei des Vaters brachte die Situation der kleinen Christengemeinde in Rom gut auf den Punkt. Am Anfang, da war die Gemeinde schnell gewachsen. Die Versammlungen waren gut besucht. Die Botschaft: „Christus ist für euch gestorben, damit ihr leben könnt“, begeisterte die Menschen. Sie kamen, weil sie die Befreiung durch den Glauben spürten und verstanden, was es heißt, von Gott um seiner selbst willen geliebt zu sein. Es war eine fröhliche und bewegende Atmosphäre in den Gottesdiensten der Gemeinde.

Doch nun nahm der Druck zu. Der erfolgreiche Eroberer verlangte als Gottes Sohn verehrt zu werden. Ihm sollte im Tempel geopfert werden. Das brachte die Christus-Gläubigen in Bedrängnis, denn so ein Opfer ließ sich nicht mit ihrem Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes vereinbaren. 

Sie diskutierten heftig in der Gemeinde. Sollten sie sich anpassen? Und überhaupt, warum kam Jesus nicht? Hatte er nicht versprochen, wiederzukommen und die Welt in Ordnung zu bringen? Davon waren sie doch weit entfernt. Stattdessen gab es Kriege, herrschten Hass und Anfeindung in der Gesellschaft. Auch Anschläge und Ermordungen gab es. Waren sie einer Illusion aufgesessen? Hatten die Juden Recht, wenn sie feststellten, Jesus könne nicht der Messias sein? Die Zweifler bekamen immer mehr Zustimmung, die ersten wandten sich enttäuscht von der Gemeinde ab und der Protest gegen dieses Verhalten wurde immer leiser.

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ 

Johanna wandte sich der Gemeinde zu, um ihr dieses Wort für das neue Jahr auszulegen:

Was heißt Glauben? Wenn es mir gut geht, Gott loben und danken? Ja, das ist richtig – und es ist leicht. Aber was passiert, wenn ihr Hass und Anfeindung erfahrt, weil ihr an Gott glaubt? Was passiert, wenn ihr in der Familie oder am eigenen Leib leiden müsst, wenn Krankheit oder Tod euer Leben bedrohen? Sucht ihr euch einen neuen Gott, weil dieser nicht hält, was ihr euch von ihm versprochen habt?

Denkt nach. Was macht euer Leben aus? Was zählt? Bleibt ihr in Äußerlichkeiten stecken oder spürt ihr, was euch wirklich trägt: Unsere Gemeinschaft, das Singen und Beten – und das Vertrauen: „Auch im Schweren steht Gott zu mir."

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Ich weiß, das ist nicht leicht, angesichts der gegenwärtigen Erfahrungen. Warum geht es denen gut, die nicht fromm sind, die Gott lästern? Die auf Ausgrenzung und Feindschaft setzen und Menschen gegeneinander ausspielen. Woher kommt der Hass?

Ich kann euch darauf keine Antwort geben. Ich kann euch an Jesus erinnern. Er hat Menschen geholfen und geheilt, hat sie mit Brot gesättigt. Und trotzdem ist er wie ein Verbrecher am Kreuz hingerichtet worden. Er hat Gutes getan und musste sterben. Am Kreuz hat der nach Gott geschrien. Und alle haben sich von ihm abgewandt. Waren enttäuscht. Hatten Angst. Versteckten sich im Dunkel. Waren weg.

Aber ihr wisst, damit ist die Geschichte nicht zu Ende: Nach einiger Zeit haben sie sich wieder hervorgetraut. Haben Mut bekommen. Haben erzählt, was sie mit Jesus erlebt haben. Haben weitergegeben, was sie von ihm gelernt haben. Haben sich immer wieder erzählt, was sie mit ihm erfahren hatten: Gottes Liebe zu uns Menschen ist größer als unser Versagen. Und sie gilt jedem einzelnen – egal, was er in der Gesellschaft zählt. Und wir haben darauf vertraut und wir leben das miteinander: Wir teilen, wir helfen uns, und geben aufeinander acht. Singen und beten miteinander. Und wenn ihr mutlos seid, dann lasst ihr euch stärken – mit Brot und Wein. Vergegenwärtigt euch das letzte Passah-Mahl mit Jesus – das Abendmahl. Unsere Hoffnung war größer als unsere Angst.

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!"

Einen Beweis für Gott habe ich nicht für euch. Es gibt keine Garantie, dass euer Vertrauen auf Jesus, die Welt verbessert. Doch bedenkt, was ihr möglicherweise aufgebt: Nicht nur unsere Versammlungen und die Gemeinschaft. Das ist vielleicht schwer, aber die findet ihr wahrscheinlich auch woanders. Ihr gebt viel mehr auf: das Vertrauen darauf, dass die Liebe etwas bewirkt. Dass es um mehr geht, als um den eigenen kleinen Vorteil. Dass der Hass nicht die Oberhand behält. Hier in der Gemeinde erlebt ihr das und ihr tragt es in die Gesellschaft hinaus. Ja, dabei passieren auch Enttäuschungen. Und trotzdem wirkt ihr mit eurem Handeln nach außen.

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Zu diesem Bekenntnis gehört der Satz Jesu: „Alles ist möglich, dem der da glaubt.“ Und das ist es, was ich euch mitgeben kann in dieses neue Jahr: Wagt euren Glauben. Setzt der Angst eure Zuversicht entgegen. Begegnet der Aufgeregtheit über das zukünftige Leben in der Welt mit eurem Handeln. Seid realistisch. Setzt der Gleichgültigkeit gegenüber den anderen eure Aufmerksamkeit und Anteilnahme entgegen. Ob es hilft, für ein besseres Leben, werdet ihr erst erfahren, wenn ihr es tut. Und vergesst nicht, Gott gibt euch die Kraft dafür. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns auf ihn verlassen.

Da meldet sich einer aus der Gemeinde: „Ja, das ist gut. Aber in der Geschichte von Jesus, da haben die Jünger es nicht geschafft, den Jungen von dem Dämon zu befreien. Wieso soll es uns gelingen?“ 

„Du hast Recht. Die Jünger wollten das auch von Jesus wissen. Und er hat ihnen geantwortet: „Diese Art lässt sich nur durch Beten austreiben.“ Es hängt nicht an unserem guten Willen, an unserem Können. Das Gebet ist unser Gespräch mit Gott. Es stärkt mich. Es zeigt mir neue Wege auf. Es lässt mich die Welt in einem anderen Licht sehen. Es stärkt unsere Gemeinschaft – und manchmal bewirken unsere Gebete auch Wunder.

Aber, wie gesagt: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ 

Amen